STRAFJUSTIZ UND UNGLEICHHEIT
Dokumentation, Analyse, Projekte und Daten nach Thema.
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich Einkommens-, Vermögens- und andere Ungleichheiten vergrößert. Dies ist insofern von Bedeutung, als – entgegen der Theorie – in der Praxis nicht alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Über alle Institutionen hinweg bestrafen Staaten „Armutsverbrechen“ und verhängen Maßnahmen, um Menschen, denen wirtschaftliche Ungerechtigkeit widerfährt, zu maßregeln und zu bestrafen.
NEUIGKEITEN
IT-Versagen der Regierungen darf nicht zu Lasten der Gefangenen fallen. Bündnis zur Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe fordert Vollstreckungsstopp, Sammelgnadenerlass und Aufklärung.
Der Bundestag hat eine historische Chance vertan: Anstatt der Ersatzfreiheitsstrafe und damit einer klaren Form der Armutsbestrafung ein Ende zu setzen, beschließt der Rechtsausschuss eine halbherzige Reform. Nicht eine*r der über 55.000 jährlich Betroffenen wird dadurch vor dem Gefängnis bewahrt.
Am Montag, den 17. April 2023, wird Justice Collective vor dem Rechtsausschuss des Bundestages zu den geplanten Reformen der Ersatzfreiheitsstrafe aussagen.
das Bündnis zur Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe wird am 31. Mai 2022 ab 10:00 Uhr eine Kundgebung vor dem Hauptportal der Justizvollzugsanstalt Plötzensee, Friedrich-Olbricht-Damm 16 in 13627 Berlin abhalten.
Justice Collective, zusammen mit #BVGWeilWirUnsFürchten, Ihr Seid Keine Sicherheit, Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., und vielen weiteren, drängen die Justizsenatorin dazu, den COVID-bedingten Vollstreckungsstopp für Ersatzfreiheitsstrafen fortzusetzen, sowie einen Sammelgnadenerlass auszusprechen für alle, denen in Berlin eine Haftstrafe wegen Geldschulden droht.
Justice Collective hat für Jacobin aufgeschrieben, weshalb das Strafrecht wird nicht erst durch seine unvollkommene Umsetzung unfair wird, sondern systematisch Ungleichheiten reproduziert. Eine Reform muss deutlich weiter gehen als das, was die Ampel bisher diskutiert.
Interviews mit Richter*innen und Staatsanwält*innen zeigen an, wie dringlich Deutschland seine Bestrafungspraxis bei geringfügigen Vergehen überdenken muss. Circa 500.000 geringfügige Vergehen führen in Deutschland jährlich zu einer Geldstrafe. Gestraft wird vielfach bei Fällen, die in direkter Verbindung mit Armut und anderen sozialen Problemen stehen und durch nicht-punitive Sanktionen bearbeitet werden könnten. Bei der Berechnung der Höhe von Geldstrafen priorisieren die Gerichte die Effizienz, so dass Geldstrafen oft zu hoch ausfallen, um von den Betroffenen bezahlt werden zu können. Insgesamt richtet dieses System bedeutenden Schaden an und alternative, sozialpolitische Lösungen müssen bedacht werden.
Im Fall Lăcătuş v. Switzerland entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass ein Schweizer Gesetz, das Betteln mit hohen Geld- und Gefängnisstrafen ahndet, das Recht einer Person auf Würde insofern verletzt, als dass es Armut kriminalisiert. In diesem Beitrag legen wir dar, dass die in Lacatus beschriebene Bestrafung von Armut allerdings keine Ausnahmeerscheinung ist: Schweizer Gerichte verhängen unverhältnismäßige Strafen gegen Menschen mit geringem Einkommen, gegen rassifizierte Menschen und gegen Migrant*innen. Die angeklagten Personen müssen mit schwerwiegenden Konsequenzen rechnen, bis hin zu Gefängnisstrafen.