Bestrafung geringfügiger Vergehen in der Schweiz
In der Rechtssache Lăcătuş v. Switzerland entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass ein Schweizer Gesetz, das Betteln mit hohen Geld- und Gefängnisstrafen ahndet, das Recht einer Person auf ihre Würde verletzt, indem es Armut kriminalisiert. Der Fall wurde von einer Roma vor den Gerichtshof gebracht, die des Bettelns für schuldig befunden und zu einer Geldstrafe von 500 Schweizer Franken (etwa 460 Euro) verurteilt wurde. Da sie die Geldstrafe nicht bezahlen konnte, wurde sie ersatzweise zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Der EGMR vertrat hingegen die Auffassung, dass das Genfer Gesetz gegen das Recht einer Person auf ihre Menschenwürde verstößt, da die Person kriminalisiert und hart dafür bestraft wurde, dass sie sich einer Aktivität gewidmet hatte, die möglicherweise ihre einzige Existenzgrundlage darstellte.
Während dieses Gesetz also als unverhältnismäßig eingestuft wurde, werden jedes Jahr anhand ähnlicher Gesetze „Taten“ wie Betteln oder andere Armutsdelikte von den Schweizer Behörden strafrechtlich verfolgt und geahndet. Viele Menschen sind im Gefängnis, weil sie die Bußgelder nicht bezahlen können. Mit anderen Worten: Das einzelne Gesetz und die Praktiken, um die es im Fall Lăcătuş ging, sind Teil eines weitaus breiter angelegten Bestrafungssystems in der Schweiz.
In diesem Beitrag befassen wir uns mit der Bestrafung geringfügiger Vergehen: Es geht um die Art der geahndeten Delikte, die Folgen der Bestrafung auf dieser Ebene für die betroffenen Menschen, Verfahrensmängel und rassistisch motivierte Ungleichgewichte. Neben einer Reihe weiterer Probleme stellen wir fest, dass die Schweiz insbesondere Armutsbetroffene, Migrant*innen und andere Angehörige rassifizierter Gruppen aggressiv kriminalisiert.