Strukturelle Ungerechtigkeit im Deutschen Tagessatz-Strafsystem
Interviews mit Richter*innen und Staatsanwält*innen zeigen an, wie dringlich Deutschland seine Bestrafungspraxis bei geringfügigen Vergehen überdenken muss. Circa 500.000 geringfügige Vergehen führen in Deutschland jährlich zu einer Geldstrafe. Gestraft wird vielfach bei Fällen, die in direkter Verbindung mit Armut und anderen sozialen Problemen stehen und durch nicht-punitive Sanktionen bearbeitet werden könnten. Bei der Berechnung der Höhe von Geldstrafen priorisieren die Gerichte die Effizienz, so dass Geldstrafen oft zu hoch ausfallen, um von den Betroffenen bezahlt werden zu können. Insgesamt richtet dieses System bedeutenden Schaden an und alternative, sozialpolitische Lösungen müssen bedacht werden.
Bestrafung geringfügiger Vergehen in der Schweiz
Im Fall Lăcătuş v. Switzerland entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass ein Schweizer Gesetz, das Betteln mit hohen Geld- und Gefängnisstrafen ahndet, das Recht einer Person auf Würde insofern verletzt, als dass es Armut kriminalisiert. In diesem Beitrag legen wir dar, dass die in Lacatus beschriebene Bestrafung von Armut allerdings keine Ausnahmeerscheinung ist: Schweizer Gerichte verhängen unverhältnismäßige Strafen gegen Menschen mit geringem Einkommen, gegen rassifizierte Menschen und gegen Migrant*innen. Die angeklagten Personen müssen mit schwerwiegenden Konsequenzen rechnen, bis hin zu Gefängnisstrafen.